Die Bauindustrie steht am Beginn einer tiefgreifenden Transformation, die vom Einsatz innovativer und nachhaltiger Materialien geprägt ist. Unter diesen Materialien ragt Myzel hervor – das faserige Netzwerk von Pilzgeflechten. In einer Zeit, in der Ressourcenknappheit, Klimawandel und Umweltschutz die Projektplanung dominieren, versprechen Myzel-Materialien einen Wendepunkt. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, umweltfreundliche Baustoffe zu schaffen, sondern auch neue architektonische und gestalterische Freiheiten. Unternehmen wie Ecovative, MycoWorks, Mogu und Grown Bio tragen dazu bei, Myzel als ernstzunehmende Alternative zu konventionellen Materialien wie OSB- oder MDF-Platten zu etablieren. Parallel beschäftigen sich Forschungsteams am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit Projekten wie NEWood, die Myzel mit Holz- und Agrarabfällen kombinieren, um leistungsfähige, ressourcenschonende Werkstoffe zu entwickeln. In diesem komplexen Spannungsfeld von Wissenschaft, Industrie und Nachhaltigkeit öffnen Myzel-Materialien neue Perspektiven, wie Bauen ressourcenschonender, gesünder und ästhetisch zugleich gestaltet werden kann.
Myzel als nachhaltiger Baustoff: Grundlagen und Potenziale
Myzel, das Netzwerk aus fadenförmigen Pilzfäden, ist die unterirdische Struktur von Pilzen und dient als natürliche Verbindungsbasis. Während Pilze in der Medizin schon lange als Quelle für Antibiotika und andere Wirkstoffe geschätzt werden, rückt seit wenigen Jahren ihr Baumaterial-Potenzial in den Fokus der Bauindustrie. Das Besondere an Myzel ist seine Fähigkeit, organische Abfälle wie Holzspäne und Stroh zu durchwachsen und diese zu einem festen, leichten und biologisch abbaubaren Material zu verbinden. So entsteht ein völlig neues Material, das gleichzeitig robust und umweltfreundlich ist.
Die Vorteile von Myzel als Baustoff im Überblick:
- Ressourcenschonung: Myzel-Materialien benötigen keine frischen Rohstoffe, sondern wachsen auf landwirtschaftlichen Reststoffen und Holzabfällen.
- Biologische Abbaubarkeit: Im Gegensatz zu herkömmlichen synthetischen Dämmstoffen zerfallen Myzel-Produkte vollständig und ohne Schadstoffe im Boden.
- Wenig Energieverbrauch: Die Herstellung erfolgt bei niedrigen Temperaturen, sodass deutlich weniger CO₂ emittiert wird als bei der Produktion von Beton oder Kunststoff.
- Gesundes Raumklima: Aufgrund seiner natürlichen Zusammensetzung fördert Myzel eine bessere Innenraumluft und wirkt feuchtigkeitsregulierend.
- Vielfältige Formbarkeit: Myzel kann in verschiedensten Formen kultiviert werden, von Platten bis hin zu komplexen Strukturen für Möbel und Wände.
Diese Eigenschaften machen Myzel-Materialien zu einem enorm vielversprechenden Baustoff, der den Bauprozess ökologisch revolutionieren kann. Einige Unternehmen, darunter Biohm und Mycelium Design, setzen Myzel bereits gezielt in Architekturprojekten und in der Herstellung nachhaltiger Produkte ein.
Ein Beispiel für die Vielfalt der Anwendungen ist der Einsatz von Myzel als Ersatz für synthetische Dämmstoffe wie EPS und Steinwolle, die umweltschädlich sind und gesundheitliche Risiken bergen. Myzel-Dämmstoffe bieten vergleichbare Dämmwerte bei gleichzeitig besserer Ökobilanz. Das KIT-Projekt NEWood kombiniert Myzel mit Holz- und Agrarabfällen zu Platten, die in Stabilität und Dichte mit OSB-, MDF- oder Spanplatten konkurrieren können, was vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Möbelbau, Trockenbau und Innenausbau eröffnet.
Eigenschaft | Myzel-Material | Konventionelle Materialien |
---|---|---|
Rohstoffverbrauch | Organische Abfälle und Reststoffe | Holz, Erdöl, Mineralien |
Herstellungsenergie | Niedrig (Wachstum bei Zimmertemperatur) | Hoch (z.B. Energieintensive Zementproduktion) |
Biologische Abbaubarkeit | Vollständig biologisch abbaubar | Langsam oder gar nicht abbaubar |
Ökologische Wirkung | CO₂-senkend durch Kohlenstoffbindung | CO₂-neural oder CO₂-emittierend |
Formbarkeit | Sehr flexibel in Form und Größe | Begrenzt durch Verarbeitungstechnologien |

Technologische Fortschritte: Das NEWood-Projekt und industrielle Myzel-Entwicklung
Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) führt mit dem Forschungsprojekt NEWood Pionierarbeit in der Entwicklung von Myzel-Holzverbundwerkstoffen. Das Ziel ist es, aus lokal verfügbaren Holz- und Agrarabfällen durch Einsatz von Pilzmyzel eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Holzwerkstoffen und Dämmstoffen herzustellen. Dabei werden keine synthetischen Bindemittel verwendet, stattdessen übernimmt das Myzel die Rolle des natürlichen Klebers.
Besonders hervorzuheben ist die Eigenschaft, dass die NEWood-Platten in ihrer Dichte und Stabilität denen von OSB-, MDF- oder Spanplatten ebenbürtig sind. Die Forscher*innen kombinieren dabei handwerkliches Know-how mit natürlichem Wachstum von Myzel, was etwa vier Wochen für die komplette Herstellung eines Bauteils erfordert. Das Team, bestehend aus Experten der Industriebetriebslehre, nachhaltigem Bauen und Pilzforschung, verfolgt ein ganzheitliches Konzept, das auch die Ökobilanz ständig optimiert.
Der praktische Prototyp eines anwendungsorientierten Raumsystems, gefertigt aus NEWood-Platten, ist seit Ende 2024 in Institutsräumen am KIT zu sehen. Dieser Demonstrator dient als multifunktionaler Rückzugsraum für Studierende und Mitarbeitende und ist ein greifbares Beispiel für die Realisierbarkeit und Alltagstauglichkeit von Myzel-Materialien im Bauwesen.
Wichtige Merkmale des NEWood-Projekts und ihrer Anwendungsbereiche umfassen:
- Komplett recyclebares und kreislauffähiges Baumaterial ohne Schadstoffe.
- Einsatz im Möbelbau mit stabilen und belastbaren Bauteilen.
- Ausgezeichnete Dämmleistung bei geringem Gewicht.
- Reduzierung des Holzverbrauchs durch Nutzung von Holzabfällen.
- Lokale Produktion, die Transportaufwand und Umweltbelastungen mindert.
Kriterium | NEWood-Myzelplatten | Traditionelle Holzwerkstoffe |
---|---|---|
Herstellungsdauer | Ca. 4 Wochen | Sofort nach Verarbeitung verfügbar |
Bindemittel | Myzel als natürlicher Kleber | Synthetische Klebstoffe |
Rohstoffe | Holz- und Agrarabfälle | Frischholz und chemische Additive |
Nachhaltigkeit | Recyclingfähig und CO₂-senkend | Begrenzt recyclingfähig |
Anwendungsbereiche | Möbelbau, Trockenbau, Dämmung | Innenausbau, Möbelbau |
Die industrielle Umsetzung bei Firmen wie Ecovative Design Europe oder MycoWorks zeigt, dass mit Skalierung und Prozessoptimierung der Materialpreis in einem wettbewerbsfähigen Bereich liegen wird. Zusätzlich arbeiten Kooperationspartner wie Biohm und Mogu an speziell veredelten Myzel-Produkten für Architektur und Design, die schon bald auf dem Markt erwartet werden.
Architektur und Design: Wie Myzel neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet
Die natürliche Formbarkeit von Myzel macht es zu einem ausgezeichneten Material für innovative Architekturkonzepte. Durch das Wachstum in Formen können komplexe Strukturen ohne aufwendige mechanische Bearbeitung entstehen. Dies eröffnet besonders im Bereich der nachhaltigen Architektur ungeahnte kreative Freiheiten.
Einige Aspekte zur Rolle von Myzel in Architektur und Design:
- Organische Formen: Myzel-Materialien können rund, geschwungen oder vielgestaltig kultiviert werden, was klassische kubische Bauformen ergänzen kann.
- Leichtbauweise: Die Kombination aus Leichtgewicht und Tragfähigkeit ermöglicht innovative Möbeldesigns und modulare Innenausbauten.
- Natürliche Ästhetik: Die leichten, strukturellen Oberflächen und natürlichen Farbnuancen verleihen Projekten eine warme und lebendige Atmosphäre.
- Integration mit anderen Materialien: Myzel lässt sich gut mit Holz, Glas und Metall kombinieren und passt somit in vielfältige Baukonzepte.
Architekten wie Dirk Hebel und Designstudios wie Mycelium Design setzen Myzel verstärkt ein und entdecken dabei neue Ansätze, die von nachhaltigen Möbeln bis zu zukunftsweisenden Wandpaneelen reichen. Der modulare Innenraumbau mittels Myzel eröffnet außerdem Möglichkeiten für Anpassungen und Recycling, die über die konventionelle Bauweise hinausgehen.
Die ästhetischen Vorzüge ergänzen zudem die wohngesundheitlichen Eigenschaften: Das Material reguliert Feuchtigkeit und wirkt antimikrobiell. Das macht es attraktiv für Schulen, Büros oder Wohngebäude, die ein gesundes Raumklima fördern wollen.

Myzel-Materialien in der Praxis: Anwendungsbeispiele und Herausforderungen
Trotz vielversprechender Fortschritte stehen Myzel-Materialien weiterhin vor Herausforderungen, bevor sie Standardbaustoffe in der Industrie werden können. Dazu zählen Fertigungskosten, Produktionszeiten und die Sicherstellung technischer Normen.
Praktische Anwendungen zeigen dennoch, dass Myzel schon heute als Ersatzmaterial funktioniert:
- Möbelbau: Unternehmen wie Grown Bio und Mogu fertigen nachhaltige Möbelstücke aus Myzel, die durch Stabilität und geringes Gewicht überzeugen.
- Dämmstoffe: Myzel-Dämmmatten ersetzen konventionelle Isolationsmaterialien und reduzieren den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden.
- Innenausbau: Trockenbauelemente aus Myzelplatten werden für leichte Trennwände und Formteile eingesetzt.
- Verpackungen und Akustikpaneele: Myzel wird ebenfalls in industriellen Verpackungslösungen und für schalldämpfende Wandpaneele genutzt.
Gleichzeitig fördern Unternehmen wie Biohm, Ecovative oder MycoWorks die Weiterentwicklung von Myzel durch technologische Innovationen, um Materialeigenschaften wie Witterungsbeständigkeit und Feuerresistenz zu verbessern. Derzeit befinden sich viele Produkte in der Erprobungs- und Zertifizierungsphase, um die Anforderungen der Bauordnungen zu erfüllen.
Tabelle: Vergleich von Anwendungsfeldern und Herausforderungen bei Myzel-Materialien
Anwendungsbereich | Vorteile | Herausforderungen |
---|---|---|
Möbelbau | Leicht, stabil, individuell formbar | Herstellungskosten, Dauer der Myzelkultivierung |
Dämmstoffe | Biologisch abbaubar, gute Dämmwirkung | Feuchtigkeitsbeständigkeit, Langzeitprüfung |
Innenausbau | Flexibel einsetzbar, belastbar | Normenkonforme Herstellung, Brandschutz |
Verpackung | Abbaubar, umweltfreundlich | Skalierbarkeit, Konkurrenz durch konventionelle Kunststoffe |
Die zukünftige Akzeptanz von Myzel-Materialien wird auch davon abhängen, wie die Bau- und Designbranche die neuen Werkstoffe in Alltag und Großprojekten integriert. Die Ansätze sind vielfältig, und die Innovationsfreude steht hierfür bereit, wie die Kooperationen zwischen Unternehmen, Hochschulen und Architekturbüros zeigen.
Ökologische und ökonomische Auswirkungen von Myzel im Bausektor
Die Transformation der Bauindustrie hin zu mehr Nachhaltigkeit ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Herausforderung. Myzel-Materialien bieten hier große Chancen durch Einsparung von Ressourcen und Reduzierung von CO₂-Emissionen im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes.
Ökologische Vorteile lassen sich unter anderem so zusammenfassen:
- Reduzierter Holzverbrauch: Durch Nutzung von Reststoffen und Agrarabfällen wird der Druck auf natürliche Wälder verringert.
- Kohlenstoffbindung: Myzel speichert gebundenen Kohlenstoff im Material, wodurch es CO₂-neutral bis CO₂-negativ wirkt.
- Wenig Energieverbrauch und Emissionen: Herstellung erfolgt mit geringem Energiebedarf und ohne Einsatz energieintensiver chemischer Prozesse.
- Vermeidung von Abfall: Am Ende des Lebenszyklus können Myzel-Produkte vollkommen biologisch abgebaut werden, was die Menge an Bauschutt drastisch reduziert.
Aus ökonomischer Sicht entstehen neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze, besonders in regionaler Produktion und Kreislaufwirtschaft. Der Aufbau von Lieferketten für lokale Holz- und Agrarabfälle schafft neue Chancen für Landwirte und kleine Unternehmen. Zudem kann durch Digitalisierung und Automatisierung die Produktion effizienter und wettbewerbsfähiger gestaltet werden.
Aspekt | Myzel-Materialien | Konventionelle Baustoffe |
---|---|---|
Ressourceneffizienz | Hoch, Nutzung von Abfällen | Geringer, Nutzung frischer Rohmaterialien |
CO₂-Bilanz | Neutral bis negativ | Positiv (Emissionen) |
Umwelteinfluss | Minimal, biologisch abbaubar | Hoch, oft nicht recyclebar |
Wirtschaftliche Chancen | Regionale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze | Global, oft zentralisierte Produktion |
Marktreife | In Entwicklung, wachsend | Ausgereift, etabliert |
Die Kooperationen mit Firmen wie nilo.health, Neffa und MyForest Foods zeigen darüber hinaus, dass Myzel nicht nur als Baustoff, sondern auch in verwandten Branchen eine Rolle spielen kann. Dies unterstreicht das vielfältige Potenzial von Pilzmaterialien als Baustein einer grünen Wirtschaftsweise der Zukunft.
Wie werden Myzel-Materialien die Bauindustrie verändern?
Interaktive Infografik: Ökologische Vorteile & Effizienz von Myzel-Baumaterialien